Auch wenn es beim Lesen ein wenig weh tut: der Narretei im Allgemeinem und dem Prinzen im Besonderen Zuspruch spendend entnehmen wir dem „Der Tafelredner“ [1] im Kapitel „Fastnacht“
Auf den Prinzen Karneval
Liebe Narren, bringet all
Ein Hoch dem Prinzen Karneval,
Der dem Thron nach Väter Sitte
Heut' bestieg mit stolzem Schritte.
Freude herrsch' im weiten Saal
Frohsinn, Lachen, Narretei,
Lust und Jubel überall,
Mit würd'gem Ernste sei's vorbei!
Glättet eure falt'ge Stirn,
Griesgram, lache, dass es schallt,
Strengt nur an das trockne Hirn,
Daß Humor es heut' entfalt'!
Wer kein Narre, geh nach Hause,
Angenehm sind nur die Tollen;
Spießer, bleib in deiner Klause,
Wir dich hier nicht haben wollen.
Seine Hoheit auf dem Thron
Ladet euch zu Narrenfeste,
Stolz mit Zepter und mit Kron'
Duldet er nur Narrengäste.
Seiner Tollität zu Ehren
Gebt euch hin der Lust und Freude;
Keinen Spaß soll man euch wehren,
Fastnacht feiern wir ja heute.
Morgen woll'n den Kopf wir senken,
Heut' jedoch man lacht und singt,
Wollen jetzt noch nicht dran denken,
Was der Aschermittwoch bringt.
Fastnachtsfreude uns vereinte,
Fastnachtsjubel laut erschall',
Vivat hoch der Narr'ngemeinde,
Dem Prinzen Karneval!
„Lust und Freude“ – ist einer der Beiden in den allseits bekannten Veranstaltungen zu beobachten, dann sollte man dieses unverzüglich melden!
Sodenn folgen in des Tafelredners Fastnacht-Kapitel „zwei launige Reden bei einer Fastnachtsfeier“, wobei die Erste etwas zu käsig geraten ist und uns hier nicht weiter langweilen möge. Die Zweite allerdings hat einen gewissen Esprit und sollte von jenen aufmerksam studiert werden, die sich in der Disziplin der gepflegten Publikumsbeschimpfung weiterbilden wollen:
Verhaßte Zuhörer!
Glaubt nicht, daß ich hier vor Euch stehe, um Euch sanftmütigen Brei um Euren losen Mund zu schmieren. Nein, ich stehe hier um Euch zu sagen, was Ihr für Menschen seid. Doch – was will ich denn? – Ihr seid ja gar keine Menschen, Ihr seid zweibeinige Tiere ohne Federn. Ihr seid von allem etwas und im ganzen gar nichts. Vom Esel habt Ihr die Verstocktheit, vom Fisch das kalte Blut, vom Hasen die Manschetten [2], vom Rhinozeros das harte Fell und vom Kamel die lasttragende Geduld. Nichts ist groß an Euch als das Maul, und nichts ist weit an Euch als das Gewissen. So groß aber Euer Maul ist, so kleinlich ist Eure Gesinnung; und so weit Euer Gewissen ist, so eng und beengt ist Eure Ansicht. Nichts ist beweglich an Euch außer Eurem Geldbeutel. Aber so leicht zu bewegen Euer Zopf ist, so schwer zu bewegen ist Euer Gemüt; und so tief Euer Geldbeutel ist, so flach und oberflächlich sind Eure Grundsätze. Eure Menschenliebe reicht nicht weiter als die Fühlhörner [3] einer Schnecke, und Euer Charakter ist nicht fester als ein halbgebackener Pfannkuchen. „Soll“ und „Haben“ sind die beiden Pole, um die sich Eure Gedankenwelt dreht. Mit der Krämerelle [4] meßt Ihr das Genie, und auf der schmutzigen Käsewaage wägt Ihr den den Wert der Menschheit ab. Ihr kennt keine Freunde als Handelsfreunde, und die Börse ist Eure Kirche, in welcher Ihr vor dem allmächtigen Mammon die Andacht verrichtet.
Wann vergießt Ihr Tränen? Sobald Ihr scharfen Meerrettich eßt! Und wann werdet Ihr warm? Wenn Ihr hinterm Ofen hockt! Wen liebt Ihr am meisten? Euch selbst! Und wen liebt Ihr am wenigsten? Euren Nächsten! Was ist Eure Liebe? Geld! Was habt Ihr im Kopf? Zahlen! Und was habt Ihr im Herzen? Gar nichts!
Glaubt nicht, Ihr miserablen Zuhörer, daß ich einige von Euch nur im geringsten vor allen Uebrigen vorziehe. Nein, Ihr gleicht Euch alle so sehr wie ein Strick dem andern. Und müßte ich den Schlechtesten von Euch wählen, ich würde den ersten besten von Euch nehmen, und hätte mich in der Wahl nicht getäuscht.
Euer Hochmut hat kein Ziel, und Euer Dünkel [5] hat keine Grenze; Eure Würde hat keinen Anfang, und Eure Geldgier hat kein Ende. D’rum treffe Euch der Aschermittwoch-Katzenjammer in stärkstem Maße, und damit Punktum! Ich habe gesprochen! (Mainzer Narrhalla. [7])
Wir sehen, in Mainz ist Karneval kein Kindergeburtstag.
jott
[1] : Der Tafelredner bei allen Festlichkeiten (Heitere u. ernste Trinksprüche u. Tischreden), Hans Helling (Herausgeber), 8. Auflage (24. bis 29. Tausend) 1937, Rodolph’sche Verlagsbuchhandlung.

Bild: Ob Spaß- oder Ernstbold, nie ohne Smoking!
Wir finden in diesem Buch auch Werbung zu weiteren Ausgaben der Rudolph’schen Verlagsbuchhandlung. Zum Beispiel
Der wirklich brauchbare Liebesbriefsteller [6]
Anleitung und Ratgeber zur Abfassung wirksamer, zeitgemäßer Liebesbriefe vom Beginn der Bekanntschaft bis zur glücklichen Hochzeit. Von Hans Teichmann. So müssen Liebesbriefe sein! Frisch und lebendig, nicht geschraubt und geziert, sondern gemütvoll und herzlich. Alle Briefe dieses Buches zeichnen sich aus, weil sie in einer besonderen, allen verständlichen Sprache geschrieben sind: der Sprache des Herzens. (Preis 1.- RM.)
Da gibt man doch gerne eine Reichsmark aus! Einen Steller, der einen Lebensabschnitt nach der „glücklichen Hochzeit“ ausleuchtete, suchen wir unter den beworbenen Büchern allerdings vergeblich – rufen wir als Bittsteller in die Vergangenheit!
[2] : „Manschetten“ : Dem Wahrig (Deutsches Wörterbuch) entnehmen wir zusammenfassend: (steifer) Ärmelaufschlag, zierende Umhüllung aus Papier für Blumentöpfe, aber auch einen verbotenen Griff am Hals. Die Gaunersprache meint damit Handfessel und vor etwas Manschetten haben sei (umgangssprachlich) der Respekt. Wir wollen an dieser Stelle anfügen, dass hier („vom Hasen die Manschetten“) wohl eher der Hasenfuß gemeint ist, ein ängstlicher Mensch und noch deutlicher: ein Feigling.
[3] : „Fühlhörner“

Bild: Obwohl mit vier Fühlhörnern ausgestattet, verlor Hausschnecke „HIPPIE“, zuständig für die Befriedung des Gartens, auf Grund ihrer zu hohen Geschwindigkeit bei einem Einsatz die Blüte, welche Augenblicke zuvor zwischen den Fühlhörnern zu finden war.
[4] : „Krämerelle“ : die Elle eines Krämers, somit ein doch eher grobes Mass, wie uns so taxierte Genies glaubhaft versicherten und auch wir finden wollen. Unter Wikipedia: <https://de.wikipedia.org/wiki/Kr%C3%A4mer-Elle> um das Latein ein wenig aufzupolieren: „ulna mercatorum“ <https://www.dwds.de/wb/dwb/kramerelle>.
[5] : „Dünkel“ : Anmaßung, Einbildung, Eitelkeit, Hochmut bei innerer Hohlheit (entnommen aus: Wahrig Deutsches Wörterbuch, Renate Wahrig-Burfeind, 9. Auflage, wissenmedia in der inmesia ONE] GmbH, 2011. ISBN 9783577075954)
[6] : „Liebesbriefsteller“ : Auch die versiertesten Liebesbriefeschreiberlinge unter uns würden sich vermutlich nicht eben so bezeichnen. Den Antragsteller, den kennen wir noch: der Verfasser eines Antrages. Oder vielleicht auch den Bittsteller, den Verfasser einer Bitte. Oder auch den Weichensteller (siehe auch „steller, m.“ hier: <https://www.dwds.de/wb/dwb/steller>).
[7] : „Narrhalla“ : Da ist man schnell dabei, N. zur Nachbarnation von Narragonien [8], dem Ziel des Narrenschiffs, zu machen. Aber so einfach ist das nicht: „Wer erfand das Land Narrhalla?“ <https://german.stackexchange.com/questions/49932/wer-erfand-das-land-narhalla> abgerufen am 27.02.2025.
[8] : „Narragonien“ : siehe dazu „Wahrheit“ in jottBlog oder auch in: „Das Narrenschiff“, Sebastian Brant, 1494.
[Zitationshilfe] : „Liegt Narrhalla neben Narragonien?“ unter jottBlog : <https://jottblog.langkau.name/2025/02/28/liegt-narrhalla-neben-narragonien/> : aufgerufen am 00.00.20xx.